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Elisabeth Amann: Saumarkt Tagebuch vom 14. September bis 25. Oktober 2017

Montag, 31. Oktober 2016 - 10:30

Donnerstag, 14.9. 2017

Saumarkt,
die erste Lesung in diesem Herbst mit Christian Futscher.

Futscher entstammt einer Feldkircher Familie, er lebt seit vielen Jahren in Wien.
Im Theaterfoyer war die Besucherzahl bescheiden; man konnte noch hoffen, dass sie mehr würde, denn noch war Zeit.

Futscher ist  Träger des Staatsstipendiums für Literatur, und vieler anderer Preise, wie Gewinner des Dresdner Lyrikpreises.

Sein Vater war vor etwa 40 Jahren Kulturstadtrat von Feldkirch. Schon aus diesem Grund, dachte ich, sei der Saumarkt ausgebucht.
Und immer fühle ich mich für ausgebliebene Gäste verantwortlich.

Christian Futscher erweckte bei mir den Eindruck, als ob er der Besucherzahl nicht sehr viel Gewicht beimesse zumindest strahlte er Gelassenheit aus, denn heiter und locker begrüßte er ‚seine Feldkircher‘. Seine Familie, seine Mutter, der Bruder und einige Verwandte hatten ihm ‚die Ehre‘ gegeben. Sein Vater war sehr jung verstorben.
Das Buch: „Wer einsam ist in der großen Stadt“ ist von eleganter Leichtigkeit, mit Blick auf kleine Dinge und Begebenheiten im Alltag geschrieben. Der Autor schenkte uns einen Abend voll Gelächter, Heiterkeit, Schadenfreude  und unbedarfter Verspieltheit.
Futscher sang zwischen den Texten einige Lieder, begleitete sich auf der Gitarre, er hat eine wunderbare Stimme. Als Sänger könnte er getrost auftreten, bestimmt hätte er in diesem Genre ebenfalls Erfolg.  
Ich fragte ihn, wie ein Mensch so eine Leichtigkeit im Leben und in seinen Texten zustande bringe. Er signierte ein Buch für mich und antwortete so nebenbei, „ich habe eine schöne Kindheit gehabt.“  
Ich spann meine Gedanken weiter: ‘aber das Leben ist doch nicht nur wie ein Wunschkonzert‘. Vermutlich ist er ein Mensch, der sehr weise ist. Weise wie ein Clown?    


Franz Kabelka und Jürgen Thomas Ernst                              20. 09. 2017

Im Saumarkt Anfang September ein dichtes ‚Programm an Literatur‘. Nach Christian Futscher traten  Franz Kabelka und Jürgen Thomas Ernst mit Neuerscheinungen vor das Publikum.

Kabelka wie Ernst, sind vielfach ausgezeichnete Dichterpersönlichkeiten, jeder mit Stipendien und Literaturpreisen für ihre Werke geehrt.
Publikum wie Autoren kennen sich,  die Autoren stammen aus dem kleinen Raum Vorarlberg.
Im Publikum sitzen ehemalige Schüler von Herrn Professor Kabelka, wie Schulkollegen von Jürgen Thomas Ernst, der von Beruf Förster ist.
Ein Freund von Jürgen ist Tischlermeister, wie er sich mir im Gespräch vorstellt.

Ernst lässt Kabelka bei der Lesung den Vortritt, erklärt Marie-Rose Cerha in der  Begrüßung. „Denn nach der Lektüre des Kriminalromans könnte sein, dass zart Besaitete nicht mehr schlafen könnten.
Anders bei Ernst, der einen emotional leisen Text vorlegt. 
Bevor Kabelka uns aus seinem Kriminalroman liest, fasst er sein Buch weitläufig und professionell zusammen.
Dann treibt er  während der Lesung die Handlung auf eine Spannung hin – und: einer vorauseilenden Vermutung meinerseits – die ich  nicht aushalten werde.  Zu meiner Beruhigung schließt er seinen Vortrag, ehe es zur angekündigten detailliert grausig geschilderten Tat geht.
Anders Ernst: Eine ruhige, unaufgeregt erzählte Geschichte zweier beinahe märchenhaft genügsamer Charaktere, denen Ernst die dem real existierenden Geschehen das geschriebene Wort entgegensetzt.
Später wogen im Foyer die Gespräche, man drängt sich um die Dichterpersönlichkeiten. Mir ist, als bleibe den Dichtern trotz allem die Einsamkeit aller Kunstschaffenden nicht erspart.    

 

Thomas Rauch & Bandy Köck                                     28. September  2017

Dem Ruf der beiden vielfach begabten Spaßvögel folgte ein zahlreiches Publikum. Beide stammen aus Fellengatter, Thomas ist mit meinen Kindern in die Schule gegangen. Wir waren Nachbarn der Familie Köck, der Familie von „Bandy“ , der um einige Jahre jünger ist als Thomas.
Im Foyer begegnete ich  ‚alten Bekannten‘, früher vertraut, doch längst aus den Augen verloren. Mir war, als wäre das Theaterfoyer gefüllt mit Familienmitgliedern, von denen ‚man‘ viel wusste und mit heiterem Geplänkel die Zeit überbrückend,  erwartete ich ein kabarettistisches Feuerwerk.
Ein Kollege der Vorarlberg-Kabarettszene, Jörg Adlassnigg, gab den Künstlern die Ehre.
Meistens setze ich mich in die letzte Reihe, um unauffällig wegzugehen, falls mir das Gebotene nicht zusagt.
Dieses Mal sah man mich weit vorne, ich hätte gewünscht, noch weiter vorne zu sitzen. Zu meiner Genugtuung grüßten mich mit Winken und Zurufen die stolzen Mütter der beiden Künstler so wie der Vater von Bandy. Am späteren Abend würde ich heute mit Familienmitgliedern der Künstler an der Bar stehen! Aber es kam anders.

In der Pause hielt mich niemand auf, ich stürmte am Publikum vorbei und direkt nachhause.
Ich hätte die Pointe nicht verstanden, klärte mich später eine Besucherin auf,  
weil Thomas eine ‘Reise nach Thailand spielte‘  –  unterstützt von Bandy als Regisseur. Diese Performance war für meine Begriffe frauenverachtend. Die Erklärerin sagte, dass die Frau auf dem Boden keine Frau, sondern ein Transvestit gewesen ist.   

 

Lange Nacht der Museen                                                             7. Oktober 2017

Der Saumarkt war an diesem Abend laufend von kommendem und gehendem  Publikum besucht. Es fühlte sich für mich wie eine heitere und neugierige Schwingung an und zeigt die Wertschätzung, das Interesse am ‚Kunsttempel Saumarkt‘.  
Maria Anwander und Ruben Aubrecht dokumentieren das literarische Archiv mit einer außergewöhnlichen Idee: auf Schallplatten, wie sie junge Leute nicht mehr kennen, wurden  - nach Kalenderjahren zusammengefasst,  – Monat für Monat die Namen literarischer Veranstaltungen und die Namen der Autoren verewigt.

Als Sabine in der Runde erklärt hatte, die Namen der Autoren sind “auf Platten“ verewigt, dachten wir aus unserem Gesprächskreis, die Namen wären in Steinplatten- oder Platinplatten geritzt. Wie für die Ewigkeit.   
Ein Plattenspieler! So ein Gerät ist mir vertraut. Ich saß einige Zeit davor, bediente ihn, wählte die Platten nach den Jahren aus, wo ich ebenfalls aufgetreten bin. Zum Beispiel: „Ricarda Bilgeri und Elisabeth Amann“.

Ob  Ricarda Bilgeri noch lebt? Sie ist 1929 geboren.
Wie es ihr gehen mag? Eine Scheu, dies zu erfragen hindert mich heute, sie anzurufen. Wie könnte die Auskunft lauten? „Gesund und lebhaft“ oder hinfällig, schwerhörig, hilflos?
Tage später bin ich den Fragen auf den Grund gegangen:  Ricarda Bilgeris Stimme klingt am Telefon  jung, frisch. Ich werde sie in Bludenz besuchen.    

 

Feridun Zaimoglu : Evangelio                                                  12. Oktober 2017

Mit klingender, in schönem Rhythmus gesprochener Sprache, genau recherchiertem Wissen und dramatischer Zuspitzung erzählt Feridun Zaimoglu von einem großen Deutschen, von einer Zeit im Umbruch und der Macht und Ohnmacht des Glaubens: von Martin Luther.

Feridun Zaimoglu unterstrich den Rhythmus der Sprache mit den Händen, er sprach langsam, seine Gestalt schwang  im den von ihm gewählten Rhythmus monoton, die Sprache klang für mich wie Glockenschläge. Die Seelenängste des Herrn Luther, der auf der Wart (Burg) ein Jahr unter Hausarrest verbringen musste, übertrugen sich auf mein Gemüt.  
Zaimoglu hat die Begabung, in lebhafter Bildsprache Dämonen und Ängste zu beschreiben:
„Ist die Burg gut gebaut, sind die Wände dick genug? Sind die Söldner schon draußen? Was kriecht über die Wände?“
Und er referiert: „Worte müssen leuchten, brennen, funkeln.“ Sie leuchten in  seinem gekonnt dramatisiertem Vortrag. Sein Buch zu lesen kommentiert er so: „Wenn Sie Folter und Hexenverbrennungen  aushalten… „

Und wieder einmal: Danke, Sabine, dass du mir diesen Platz hier gegeben hast.“ 


The Magic Mose Band:  20 Golden Greats                       14. Oktober 2017

40 Jahre Pop-Geschichte:  von 1977 bis heute.

Zu Ehren “40 Jahre Saumarkt” spielten The Magic Mose Band, aus ihrem Programm „20 Golden Greats“.

Thomas  Keckeis, Thomas Kuschny, Markus Marte, Karl Müllner und Herbert Walser-Breuss.
Zahlreich ist das Publikum aus naher und weiterer Umgebung, das Kellerlokal ist an diesem Abend voll besetzt. Man kennt die Musiker, man kennt Besucher, ist miteinander vertraut durch gemeinsame Ereignisse und Erinnerungen.
Geboten wird mit jugendlichem Elan und von den lebenserfahrenen Männern ihre Musik: Leise, unaufdringlich, swingend. Die Freude am Musizieren überträgt sich auf das Publikum.
Vierzig  Jahre! … da ist viel Wasser den Bach hinunter… wie man hier sagt. Wehmut, Dankbarkeit und Rührung bewegen mich.   

Bis das Kellergewölbe  im Rhythmus der Melodien vibriert und die Trompete von Herbert Walser-Breuss eine weltbekannte Melodie von Sehnsucht  und Traum aufgreift, den Part übernimmt. Die Melodie über Harmonie und Sehnsucht berührt Herzen, die wissen, dass die Wunschträume  der Jugend nicht umzusetzen waren, weil Träume in anderen Sphären gewoben sind als  Wirklichkeit.
Lang anhaltender Applaus bedankt das Geburtstagsgeschenk an den Veranstalter für „40 Jahre Saumarkt“ und „40 Jahre Popmusik von „The Magic Mose Band.“   

 

Iljia Trojanow                                                                      18.  Oktober 2017

„Geflüchtet zu sein ist ein Gefühl, das man in sich trägt wie einen Makel.“ Der Dichter sagte diesen und so manche Merksätze, wie: „Wenn man in den Menschen ‚den Anderen sieht, sät man durch den vollzogenen Vergleich Gewalt.“ Er vergleicht zwei Aussagen eines Bibelwortes:  „Liebe den nächsten  wie dich selbst“. Diese Übersetzung ist nicht korrekt, ,„das ist eine falsche Übersetzung“, so doziert er zu Recht. Denn Jesus sagte: „Liebe deinen Nächsten als dich selbst.“ ‚Wie‘ dich selbst oder ‚als‘ dich selbst: Darin liegen die Unterschiede zwischen Vergleichen (so wie ich) oder ‚als‘ mit liebendem Auge wahr =und angenommen.

Seine Sprache, ihre Genauigkeit legt einen Kosmos von Ängsten offen. Die Sprache will die Worte dem Nicht- Begreifen des fremden, Anderen,   entgegenhalten. Erfahrene Ängste und Verletzungen können von jenen nicht begriffen werden, die Ausgegrenzt sein nicht erlebt haben.   
Für den Geflüchteten sind Misstrauen in den Blicken wie ein Spießrutenlauf, sind wie Verdächtigungen.
Das Buch von Ilija Trojanow  „Nach der Flucht“ zeigt mir, dass ich oft nicht verstanden habe, wenn ich Fragen gestellt habe, die den Fremden vermutlich verletzt haben.          
Trojanow schreibt in genauen Begriffen, wie Kundeyt Surdum (1939 – 2016) dies tat. Kundeyt war kein Flüchtling, aber er fühlte sich sehr viele Jahre hier in Vorarlberg mit mißtraurischen Blicken angesehen, nicht dazu gehörend. Er hat sehr gelitten.  „Wird es schwer sein, in der Heimat meines Sohnes zu sterben?“  

*Seine sprachliche Sensibilität, also: Empfindsamkeit war auch etwas in ihm, war ihm, wie ich meine, teils angeboren. (innere Heimat, unaussprechlich), teils seiner gedanklich-spirituellen Vertrautheit mit einem Gefühl, das ich - ungeschützt gesagt - mit dem Herzen des Islam verbinde, einer Antenne für die mystische Spur, wie sie z.B. durch Dschal’alheddin RUMI dichtete.
*Entnommen einem Brief von Dr. Walter Buder. Schriftsteller, Theologe und Freund von Kundeyt.

Menschen, die in deutscher Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, schreiben, wägen die Worte sehr genau ab, sie wenden und drehen Begriffe, schleifen sie, bis sie wie Kristalle aufleuchten.

 

Goran Kovacevic & Peter Lenzin: Swingin’ Balkan Soul    25. Oktober 2017

Alpenmusik, Balkan, Jazz und Tango. Musette, Klassik, Avantgarde. Die beiden Ausnahmemusiker schaffen das Kunststück der Genre-Verschmelzung mühelos. Musik, die berührt, begeistert und bewegt.

Seit 1999 ist Goran Kovacevic Professor für Akkordeon und Kammermusik am Landeskonservatorium in Feldkirch.
Seine Eltern waren jugoslawische Auswanderer; seine Mutter brachte ihm früh die Liebe für osteuropäische Folklore bei. K. vertiefte sein Akkordeonspiel in Belgrad, in der Musikschule Schaffhausen, im Konservatorium Winterthur und in Florenz.
Moskau, Weimar und University Toronto ergänzten seine künstlerische Ausbildung. Als Solist und Kammermusiker in verschiedenen Besetzungen führte ihn Konzerttourneen in verschiedenen Besetzungen durch Europa, nach Amerika und Asien.

Goran Kovacevic ist Preisträger internationaler Wettbewerbe, wie Coupe Mondiale, Mozarteum Salzburg.
Er wirkt als Juror bei Prima La Musica in der Jury mit.
Ein Leben, der Musik verschrieben, der Kunst dienend, leidenschaftlich und selbstlos.